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Wo ist Heimeligugg, wenn es regnet?

Ganz ehrlich, ich hätte mir diese Frage selber wohl kaum gestellt. Aber für einmal bin ich nicht alleine in der Nähe von Heimeliguggs Zuhause unterwegs, sondern mit meinem Enkel. Und Kinder im Kindergartenalter stellen solche Fragen. Das Wetter ist trüb, neblig, nass, grusig und das mitten im Juli. Trotzdem wollte Tom unbedingt ins Heimeli, und er wollte unbedingt wandern – mindestens bis zur Lichtung vom Heimeligugg. Da ich eh frische Alpenrosen besorgen wollte, und sie auf dieser Lichtung in Hülle und Fülle wachsen, musste Tom mich nicht gross überreden.

So wandern wir los. Zum Glück gibt’s die neue Brücke über den Haptertällibach, sie ist bei diesem Huddelwetter fast schon eine Attraktion. Der Bach tobt und wir staunen. Seine Wildheit imponiert uns, und wir sind uns einig, diese Brücke ist wirklich toll.

Nebel schleichen um Lärchen, Wurzelstöcke verwandeln sich in kleine Ungeheuer, Kuhglocken bimmeln, doch scheinbar ohne Kühe, ein Vogel kreischt. Die Stimmung ist mystisch, ja fast schon ein bisschen gespenstisch, aber sie vermittelt auch ein Hauch von Abenteuer. Ich denke für mich: «Jetzt müsste Philipp Gurt hier sein – hier wäre der perfekte Ort für einen seiner Krimis». Wobei es natürlich nicht beim Schreiben des Krimis bleiben sollte. Hier auf dieser Lichtung sollte er eine Lesung halten, bei dieser Stimmung, mit dieser Kulisse… Bergbachrauschen, Kuhglockengebimmel, Nebelfetzen, in der Ferne ein Donnergrollen… Wow.

Tom’s Gedanken wandern offensichtlich ebenfalls in die Geschichtenwelt. Nicht in die der Krimiliebhaber, sondern in die der Kinder, der Märchen, der Zwerge und der Wunder. «Nani, wo ist Heimeligugg, wenn es regnet? Was denkst du? Könnten wir ihn heute vielleicht sehen? Du hast doch gesagt, dass er sich vor den Menschen versteckt. Aber jetzt, bei diesem Wetter, könnte es doch sein, dass er glaubt, dass kein Mensch draussen ist, oder? Wo ist seine Höhle genau? Sollen wir sie suchen?»

«Zuerst pflücken wir noch ein paar Alpenrosen», antworte ich. «Und schau, das ist der Platz, von dem aus Heimeligugg direkt ins Heimeli guggen kann, daher heisst der Zwerg eben Heimeligugg». Sanfter Nieselregen setzt ein, wir blicken hinüber zum Heimeli. «Komm, ich glaube, es ist besser, wir gehen zurück, bevor es richtig fest regnet. Und dann machen wir ein Feuer, damit der Kachelofen im Stübli schön warm wird und schauen, ob die Brote schon im Ofen sind und ob Mirjam etwas Feines zum Zvieri für uns hat, oder Julians Kuchen bereits fertig sind.»

Kurze Zeit später: Das Feuer knistert im Ofen, an einem der Stüblitische sitzt eine Familie und spielt ein Kartenspiel, an einem anderen Tisch sitzen zwei Gäste und trinken Tee, in einer Ecke sitzt ein junges Mädchen und liest in einem Buch. Märchen oder Krimi? Keine Ahnung. Es riecht nach frischem Brot, nach Gerstensuppe, nach Alp, nach Heimat, nach Gemütlichkeit… da soll einer sagen, bei diesem Wetter sei ein Heimelibesuch nicht das Richtige.

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